„Die Lücke, die der Rechner lässt“: Der Soziologe Dirk Baecker über die Digitalisierung

Dirk Baecker gehört zu den renommiertesten Sozialwissenschaftlern des Landes und gilt als einer der führenden Systemtheoretiker in der Tradition Niklas Luhmanns, einer vor allem in Deutschland verbreiteten soziologischen Theorieschule, die auch unser Denken zentral prägt. Er beschäftigt sich wie wir mit dem Thema Digitalisierung und hat nun unter dem Titel „4.0 oder die Lücke, die der Rechner lässt“ eine Gesellschaftstheorie der Digitalisierung vorgelegt, die im Merve Verlag erschienen ist. Im Interview bei Deutschlandfunk Kultur hat er seine Gedanken vorgestellt. Im folgenden Link können Sie sich das Interview als Audio-Datei anhören:

Dirk Baecker über Digitalisierung

Baecker führt dabei zunächst in seinen breiten gesellschaftstheoretischen Zugang auf das Thema ein. Aufbauend auf einer „Archäologie“ der Gesellschaftsentwicklung ordnet er historische Strukturformen der Gesellschaft jeweils zentralen Verbreitungsmedien zu. Er unterscheidet dabei zwischen 4 Medienepochen. Vor 10.000-40.000 Jahren beginnt für Baecker das Zeitalter der Oralität/Sprache (1.0), auf das vor 8000 Jahren das Zeitalter der Schrift folgt (2.0). Baecker macht aber deutlich, dass die moderne Gesellschaft mit ihren jeweiligen gesellschaftlichen Teilbereichen (die Systemtheorie spricht von Funktionssystemen der Wirtschaft, des Rechts, der Politik, der Wissenschaft …) erst mit dem Buchdruck zu entstehen beginnt (3.0). Mit der Entwicklung der digitalen Technologien im 20. Jh. , insbesondere dem Computer, beginnt dann die Entwicklung der nächsten Gesellschaft (4.0), die sich langsam über die Moderne zieht, wobei wir uns laut Baecker gegenwärtig noch mitten in diesem Transformationsprozess befinden und dieser noch einige Jahrzehnte andauern wird.

Im zweiten Teil des Interviews geht es dann um spezifische Phänomene des digitalen Zeitalters wie das der Fake News, wobei hier Baecker bei aller Dringlichkeit des Problems klarmacht, dass Gesellschaften sich schon immer mit  bestimmten Formen bewusster Falschmeldungen auseinanderzusetzen hatten. Abschließend macht Baecker auch noch einmal auf eine wichtige paradoxe Theoriefigur aufmerksam. Zum einen sei die Gesellschaft zwar der Akteur der Digitalisierung (wir haben also eine gewisse Kontrolle bei der Gestaltung und der Verwendung von „Softwarepaketen“ in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen, das meint er auch mit der sagenumwobenen „Lücke“, die der Rechner lässt), mit zunehmender Bedeutung der Maschinen und Computer werde die Gesellschaft aber auch zunehmend zum passiven Objekt, das quasi digitalisiert werde.

Was halten Sie von dem Interview? Wir finden insbesondere Baeckers  Plädoyer für die Gestaltbarkeit des Prozesses wichtig. Das ist eine erfrischende Perspektive gegenüber dem oft technik- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs, wie er auch in der alltäglichen Medienberichterstattung dominiert. Dieser „verkauft“ uns Technik und Digitalisierung oft als ein vollkommen determinierten und vorgegebenen, von uns entfremdeten Prozess, den wir ohnehin nicht beeinflussen können. Es handelt sich bei der Digitalisierung aber um keinen naturgesetzlichen Evolutionsprozess, sondern um einen sozialen Transformationsprozess. Dementsprechend haben wir auch viele Möglichkeiten, um diesen auch sinnvoll  zu gestalten. Bringen Sie sich also gerne ein – für einen menschgerechten Weg der Digitalisierung.