Harald Lesch: Die Welt in 100 Jahren

Harald Lesch ist Astrophysiker an der LMU München und in den letzten Jahren mit verschiedenen Wissenschaftsformaten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch einem breiteren Publikum bekannt geworden. Schon immer hat ihn seine einzigartige Gabe, komplexe naturwissenschaftliche Fragestellungen auch Laien nahe bringen zu können, ausgezeichnet. Gleichzeitig begeisterte er aber auch immer mit einem interdisziplinären und holistischen Blick auf die Welt und betrachtete die Dinge dabei immer aus einer vernetzten sozial- und geisteswissenschaftlichen Perspektive als Naturphilosoph. Man kann sicher sagen, dass Lesch im Zeitalter einer zunehmenden fachlichen Ausdifferenzierung der Wissenschaften zu den letzten Universalgelehrten des Landes zählt. In unserem heutigen Blogbeitrag möchten wir Sie auf ein Interview aufmerksam machen, das der Kanal „Urknall, Weltall und das Leben“ vor 2 Jahren mit Lesch geführt hat. Es ist in der Reihe „Die Welt in 100 Jahren“ erschienen, in der der Kanal mit verschiedenen Wissenschaftlern aus allen Fachbereichen über die zukünftigen Herausforderungen unserer Weltgesellschaft spricht.

 

Insgesamt erwartet Lesch schon in 50 Jahren „eine völlig andere Welt“. So warnt er im Zuge eines scheinbar unabwendbaren Fortschreitens des Klimawandels vor gewaltigen, nicht ansatzweise vorstellbaren Flüchtlingsbewegungen, die auch in Europa bspw. die gesamte iberische Halbinsel, Griechenland oder auch Süditalien betreffen werden. Politisch beklagt er die Nationalisierungstendenzen in Europa. Dabei sei es gerade Europa, das ein humanistisches Referenzmodell darstellen könne für eine neue globale Wirtschaftsordnung, die das gegenwärtige angelsächsisch geprägte neoliberale Wirtschaftssystem, das längst an seine Grenzen gekommen sei, ablösen könnte. Von der Natur, so Lesch, gebe es gegenüber unseren einzigartigen Expansionsbestrebungen und unserem unbeirrten Wachstumsdenken mittlerweile nämlich immer nur noch die gleiche Antwort: „Beschränkt euch!“. Überhaupt sei das eigentliche Prinzip der Natur, so Lesch weder Egoismus noch unbeschränkte Expansion, sondern Kooperation.

Auch in Bezug auf das Bildungssystem wird Lesch nicht zum ersten Mal kritisch. Für die komplexen Fragestellungen, die die nächsten Generationen zu bewältigen hätten, bräuchte es vor allem kreative junge Menschen. Stattdessen hätte man allerdings ein „G8-Zuchthaus“ geschaffen, wo Schüler bspw. nicht über angewandte und lebenspraktische Fragen an Naturwissenschaften herangeführt werden oder  kreativ-fördernde Fächer wie Sport, Musik und Kunst ein Schattendasein führen. Selbst gegenüber seiner eigenen Disziplin, der Physik ist er durchaus kritisch.  Diese müsse sich, so Lesch zukünftig stärker den wesentlichen Problemstellungen des 21. Jh. zuwenden. Ganz im Sinne seines holistischen Ansatzes erhofft er sich die Entwicklung einer allgemeinen Naturlehre in Schule und Wissenschaft, die die verschiedenen Frage- und Problemstellungen transdisziplinär zusammenführt.

Was meinen Sie zu Leschs Gedanken? Wie können wir im globalen, nationalen und regionalen Maßstab endlich von Egoismus auf Kooperation umstellen, wie er es fordert? Wie können wir die verschiedenen globalen Herausforderungen (Klimawandel, Digitalisierung, globale Ungerechtigkeit, Ressourcenknappheit …) global und vernetzt andenken und wirklich einmal holistisch zu lösen versuchen, anstatt einem längst an seine Grenzen gekommenen Paradigma zu „huldigen“? Bringen Sie sich gerne ein – für einen menschgerechten Weg im 21. Jahrhundert.